Die Einführung des Inflation Reduction Acts (IRA) führt zu weitreichenden Änderungen im staatlichen US-Krankenversicherungssystem. Denn ein zentrales Ziel des IRAs ist, die Kosten für das US-Krankenversicherungssystem zu senken. Hauptkostentreiber des Systems sind die hohen Medikamentenpreise. Gemäß einer Studie der RAND Corporation aus dem Jahr 2021 waren die US-Preise für Markenarzneimittel im Durchschnitt um 344 % höher als in anderen OECD-Ländern.
Hier setzte der IRA mit seinen sogenannten Preisverhandlungen an, die zwischen dem staatlichen Center for Medicare & Medicaid Services (CMS) und den Pharmaunternehmen stattfinden. Der Begriff Verhandlung ist dabei irreführend, da das CMS die Preise für die Medikamente quasi festlegen kann und die Pharmaunternehmen zustimmen müssen. Ansonsten drohen den Unternehmen strafen
„Win-win-Situation“ trotz Preissenkungen
Der IRA sieht vor, dass die Preise für die am meisten verkauften Arzneimittel in Teilen des staatlichen Krankenversicherungssystem festgelegt werden. Die ausgewählten Medikamente müssen zum Zeitpunkt der Preisreduktion vor mindestens neun Jahren („Small-Molecules Drugs“) bzw. 13 Jahren („Biologics“) von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA zugelassen worden sein. Ferner dürfen noch keine Generika bzw. Biosimilars (Nachahmerprodukte) zugelassen worden sein. Ausgenommen sind dabei generell Arzneimittel für seltene Krankheiten.
Mitte August 2024 wurden nun die Ergebnisse der Preisverhandlungen für die ersten zehn ausgewählten Medikamente bekannt gegeben. Die festgesetzten Preise lagen im Rahmen der Erwartungen und damit deutlich unter den Befürchtungen aus dem vergangenen Jahr. Wieder einmal hat sich das Sprichwort „politische Börsen haben kurze Beine“ als zutreffend erwiesen. Die Pharmaunternehmen müssen ab 2026 für das staatliche Krankenversicherungssystem Rabatte zwischen 38 und 79 % vom Listenpreis einräumen. Dadurch erwartet das staatliche Krankenversicherungssystem Einsparungen von etwa 22 % – circa sechs Milliarden US-Dollar – gegenüber 2023. Diese Preiszugeständnisse klingen nach einem großen Betrag, sind jedoch für die Pharmaunternehmen handhabbar. Insgesamt kann man den Ausgang der Verhandlungen daher als „Win-win-Situation“ ansehen.
Forschungsschwerpunkte verschieben sich zu komplexeren Medikamenten
Dennoch sieht man bereits jetzt, dass sich der IRA auf die Forschungsaktivitäten der Pharmaunternehmen auswirkt. Die Pharmaunternehmen konzentrieren sich immer mehr auf Biologics, da diese im Vergleich zu Small-Molecule-Medikamenten länger vor Preisregulierung geschützt sind. Zudem forschen die Unternehmen verstärkt im Bereich seltener Krankheiten, da Medikamente für diese Therapiegebiete von Preisverhandlungen ausgenommen sind.
Darüber hinaus versuchen die Pharmaunternehmen die Entwicklung zu beschleunigen, da die Preisverhandlung auf Molekülbasis und nicht auf Indikationsbasis, d. h. für unterschiedliche Krankheitsbilder, geführt werden. Das führt aktuell dazu, dass Pharmaunternehmen ihre Entwicklungspipeline neu ordnen. Diese Entwicklung wird zusätzlich durch das kommende „Patentkliff“ verstärkt, denn bis Ende 2030 verlieren knapp 50 % aller weltweit zugelassenen Medikamente ihren Patentschutz.
Wie Medikamententwicklung funktioniert
Die Entwicklung von neuen Medikamenten ist aufwendig und zeitintensiv. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen präklinischer und klinischer Entwicklung. Bei der präklinischen Entwicklung liegt der Fokus auf der Identifizierung vielversprechender medizinischer Wirkstoffe, die potenziell Krankheiten behandeln könnten. Darüber hinaus wird getestet, ob ein solcher medizinischer Wirkstoff sicher genug ist, um in klinischen Studien weiterentwickelt zu werden. In der Regel dauert ein solcher Prozess zwischen drei und sechs Jahren.
Die klinische Entwicklung wiederum ist in vier Phasen aufgeteilt. Die tatsächliche Medikamentenentwicklung findet in den Phasen eins bis drei statt. Phase-vier-Studien sind Post-Zulassungsstudien, in der langfristige Risiken ausgeschlossen werden sollen. In den verschiedenen Studienphasen nimmt die Anzahl der Teilnehmenden sowie die Länge der Studien immer weiter zu. Insgesamt dauert der gesamte Entwicklungsprozess im Durchschnitt circa zehn bis 15 Jahre und kostet im Schnitt über zwei Milliarden US-Dollar.
Contract Research Organisations als langfristige Profiteure
Die Verschiebung der Forschungsschwerpunkt hin zu komplexeren Medikamenten führt zu deutlich aufwendigeren Studien. Diese werden mittlerweile verstärkt an Contract Research Organisations (CROs) ausgelagert. CROs übernehmen einige Teile der präklinischen oder klinischen Forschung oder den gesamten Prozess der Entwicklung sowie Zusatzdienstleistungen wie Datenanalyse, Consulting oder Kommerzialisierungsdienstleistungen. Aufgrund der Fokussierung auf Research können CROs schneller und effizientere Studien durchführen. Das führt zu Kosteneinsparungen.
Krebserkrankungen weiter auf dem Vormarsch
Der Bereich der Krebsforschung ist einer der komplexeren Bereiche, in denen CROs unterstützen. Aktuelle Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigen, wie wichtig das Forschungsgebiet bleibt und wie dringend Innovationen benötigt werden. Der WHO zufolge wurde im Jahr 2022 weltweit bei circa 20 Millionen Menschen Krebs diagnostiziert, circa 9,7 Millionen Menschen starben daran. Bis 2050 erwartet die WHO, dass die Anzahl der Fälle um ca. 77 % auf 35 Millionen neue Krebsdiagnosen pro Jahr steigen wird. Lungen-, Brust- und Dickdarmkrebs sind dabei die häufigsten Formen von Krebs.
Neue Therapiemethoden lassen hoffen
In der Vergangenheit wurden bei der Krebstherapie Tumorzellen zunächst lokal durch Operation und/oder Bestrahlung behandelt. Sollten sich in anderen Organen Metastasen gebildet haben, wurden diese mithilfe von Chemotherapie bekämpft. Inzwischen gibt es eine Vielzahl neuer Krebstherapien. Eine Variante ist die zielgerichtete Therapie. Dabei wirkt die Therapie nur auf Krebszellen, die besondere Merkmale aufweisen. Monoklonale Antikörper oder kleine Moleküle blockieren hierbei die für die Entartung zentralen molekularen Signalwege. Im Vergleich zur klassischen Chemotherapie setzt die zielgerichtete Therapie viel genauer an den Krebszellen an.
Einen Sonderfall stellen Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (ADCs) dar. Sie sind eine Mischung aus zielgerichteter Therapie und Chemotherapie, weshalb sie auch als „Smart-Chemo“ bezeichnet werden. Ein Antikörper wird dabei benutzt, um einen Chemotherapie-Wirkstoff zu transportieren und im Tumor anzureichern. Eines der bekanntesten aktuell zugelassenen ADCs ist Enhertu von AstraZeneca. Es ist unter anderem für die Behandlung von Brustkrebs, von nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen und Magenkrebs zugelassen. AstraZeneca zählt zu den Marktführern für den Trend der ADCs, auch aus dem Pipeline-Blickwinkel.
Forschungsdaten unterstreichen Zusatznutzen der Adipositas-Medikamente
Ein Bereich, der aktuell von allen Pharmaunternehmen priorisiert wird, ist die Diabetes- und Adipositas-Forschung. Immer mehr Unternehmen forschen in diesem Bereich. Mittlerweile liegt der Fokus bei den Adipositas-Medikamenten nicht mehr nur auf dem reinen Abnehmen – vielmehr rückt der Zusatznutzen in den Vordergrund. Eli Lilly konnte vor Kurzem zeigen, dass die Einnahme von Zepbound das Risiko für die Folgen von Herzinsuffizienz (HFpEF) deutlich senkt. Im Vergleich zur Placebo-Gruppe sank das Risiko von (u. a.) Krankenhausaufenthalten und Todesfällen aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen um 38 %. Darüber hinaus konnte Eli Lilly zeigen, dass Zepbound bei übergewichtigen Menschen mit Prädiabetes das Risiko an Diabetes zu erkranken um 94 % senkt. Vermutlich wird man auch in Zukunft weitere Studienerfolge zu dem Zusatznutzen der Adipositas-Medikamente sehen.
Gemäß Prof. Harlan Krumholz von der Yale School of Medicine zeigt Semaglutide, der Ausgangsstoff von Ozempic und Wegovy von Novo Nordisk, deutlich weitreichendere Vorteile – die über das hinausgingen, was sich die Forschung ursprünglich vorgestellt hatte. Prof. Krumholz meinte vor Kurzem, ihn würde es nicht überraschen, wenn der Zusatznutzen schlussendlich den Alterungsprozess verlangsamen würde.
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