Zinslandschaft 2024
Die verschiedenen Niveaus der Leitzinsen – darunter das tatsächliche, das erwartete, das erhoffte und das aus unterschiedlichen Perspektiven notwendige Niveau – haben das Jahr 2024 geprägt. Haben manche Investoren dazu verführt, zu früh auf die Zinswende zu setzen. Oder sich zu spät darauf vorzubereiten. Was die Zinswende für Bond-Anleger bedeutet und wo Chancen und Risiken liegen, das erläutert Tobias Geishauser, Co-Fondsmanager des DJE – Zins Global.
Das laufende Jahr brachte einige Überraschungen auf den Anleihemärkten. Während viele Marktteilnehmer erwarteten, dass die Zentralbanken, insbesondere die Europäische Zentralbank (EZB) und die Federal Reserve (Fed), erste Zinssenkungen zügiger vornehmen würden, blieb die geldpolitische Lockerung bis zum Sommer aus. Erst im Juni senkte die EZB zum ersten Mal seit acht Jahren den Leitzins, was Anleihemärkte, aber auch andere Anlageklassen, beeinflusste. Die Fed folgte den Europäern erst kürzlich. Doch was bedeutet das für Anleger, die in festverzinsliche Wertpapiere investiert haben oder sich für Anleiheinvestments interessieren?
Rückblick auf das erste Anleihen-Halbjahr
Im ersten Halbjahr reagierten die Anleihenmärkte weiterhin stark auf geldpolitische Signale, insbesondere aus den USA und Europa. Die Zentralbanken hielten weitgehend an ihrem restriktiven Kurs fest, was gerade langlaufende Staatsanleihen stark unter Druck setzte. Der Bondmarkt preiste potenzielle Zinssenkungen zu euphorisch ein, was bis in den Herbst mit fallenden Renditen spürbar wurde. Viele Zinskurven waren invertiert: Die Total Returns von langlaufenden Staatsanleihen aus entwickelten Volkswirtschaften wie den USA, Großbritannien, Japan oder Deutschland blieben bis Ende Juni durchweg negativ. Die Erwartung eher steigender Zinsen sorgte schließlich dafür, dass Anleger vorsichtig agierten.
Besonders bemerkenswert war jedoch die Entwicklung bei Hochzinsanleihen. Europäische und amerikanische Hochzinsanleihen verzeichneten solide Erträge, was auf die Verengung der Kreditrisikoprämien zu Investment-Grade-Anleihen mit guten Bonitätsstrukturen, auch bekannt als Credit Spreads, und eine starke Nachfrage zurückzuführen ist. Firmen mit entsprechenden Strukturen hielten sich problemlos über die Hochzinszeiten. Europäische Hochzinsanleihen erzielten in diesem Zuge bis zum Stichtag Ende Juni eine Rendite von rund 3%, während amerikanische Hochzinsanleihen in US-Dollar sogar über 5% (in Euro) kamen. Dies zeigt: Gerade in herausfordernden Zeiten können die Kreditmärkte überraschen.
Warum das Zinsumfeld für Anleihen attraktiv bleibt
Ein wesentlicher Grund für die positive Entwicklung im Hochzinssegment ist die starke Nachfrage institutioneller Anleger, wie etwa Versicherungen und Pensionskassen. Diese Investoren suchen nach stabilen Erträgen in einem Umfeld, das weiterhin von Unsicherheiten geprägt ist. Während die Credit Spreads im historisch unteren Drittel liegen, weisen europäische Investment-Grade-Anleihen Renditen auf, die im historischen Vergleich der letzten zehn Jahre im oberen Drittel liegen. Auch wenn die Renditen in den letzten Monaten gesunken sind, bleiben sie weiter attraktiv. Anleger, die jetzt in Anleihen investieren, können sich berechenbare Cashflows und Erträge langfristig sichern.
Zudem konnten viele Unternehmen die günstigen Zinsen der letzten Jahre nutzen, um sich langfristig zu refinanzieren. Dies gilt insbesondere für Qualitätsunternehmen, die ihre Kapitalstruktur entsprechend angepasst haben. Die Kennzahlen dieser Unternehmen, wie etwa das Verhältnis von Kapitaldienst zu Free-Cash-Flows, sind weiterhin solide, was ihre Fähigkeit, mit höheren Zinsen umzugehen, unterstreicht.
Der Wind dreht – was das für Anleger heißt
Mit den ersten Zinssenkungen der EZB und nun auch der Fed hat sich das makroökonomische Umfeld spürbar verändert. Viele Marktteilnehmer gehen davon aus, dass weitere Zinsschritte in den kommenden Monaten nur vorsichtig vorgenommen werden. Diese Erwartungshaltung führt zu einer zunehmenden Attraktivität von Anleihen, und das auf beiden Kontinenten. Anleger sollten jedoch weiterhin wachsam sein, da die geopolitischen Risiken und die unsichere Inflationsentwicklung nach wie vor Druck auf die Märkte ausüben könnten.
In diesem Zinszyklus reagierte die Fed vorsichtiger als sonst und beließ den Zins lange so hoch, wie er war. Erst im September lockerte die Fed die Geldpolitik und senkte den Zins in Summe wie in Europa, nämlich um 50 Basispunkte. Damit wurde die Aussicht, dass man womöglich erst nach den US-Wahlen im November den Leitzins senken werde, nicht bewahrheitet. Grund dafür könnte die strukturell schwächere US-Konjunktur sein, die weniger Spielraum bei der Entscheidung ließ. Angesichts der anhaltenden Herausforderungen bleibt abzuwarten, ob die Fed von ihrer eher vorsichtigen Haltung abrückt.
In einem Umfeld, in dem weitere Zinssenkungen erwartet werden, aber möglicherweise nur schrittweise und zögerlich kommen, sollten Anleger besonders auf die Auswahl ihrer Anleihen achten. Zwar bieten festverzinsliche Wertpapiere wie Staatsanleihen und Unternehmensanleihen weiterhin stabile und langfristig planbare Erträge, die man sich jetzt sichern kann, doch bleibt der Kurs des mittelfristigen Zinsniveaus ungewiss. Langfristige Anleihen könnten besonders anfällig für Kursverluste sein, falls die Zinssätze wider Erwarten doch steigen. Investoren sollten daher eine sorgfältige Strategie verfolgen, die auf eine Balance zwischen Laufzeit und Kuponrendite setzt.
Risiken nicht unterschätzen: Maturity Wall
Hochzinsanleihen bieten derzeit interessante Chancen, aber auch hier sollten Investoren selektiv vorgehen. Unternehmen, die auf den US-amerikanischen Hochzinsmärkten tätig sind, stehen in den kommenden Jahren teilweise vor erheblichem Refinanzierungsbedarf. Experten schätzen, dass 2025 und 2026 jeweils rund 2,5 Billionen US-Dollar refinanziert werden müssen. Diese sogenannte „Maturity Wall“ könnte den Markt belasten und Gegenwind für die Credit Spreads bedeuten, wenn die Kapitalmärkte nicht in der Lage sind, ausreichende Liquidität bereitzustellen.
Was könnten künftige Zinssenkungen für Anleger bedeuten?
Obwohl Zinssenkungen auf den ersten Blick positiv für die Märkte erscheinen, gibt es auch hierbei Risiken. Unternehmen und Staaten könnten sich in einer Phase niedriger Zinsen übermäßig verschulden. Sollten die Zinsen in den kommenden Jahren wieder steigen, könnte dies zu erheblichen finanziellen Belastungen führen. Besonders anfällig sind hier Unternehmen, die sich kurzfristig refinanzieren müssen oder stark vom Kapitalmarkt abhängig sind.
Ein weiteres Risiko besteht darin, dass Anleger in spekulative Anlageklassen drängen, die unter normalen Marktbedingungen weniger attraktiv wären. Dies könnte zu einer Blasenbildung führen, insbesondere in den Bereichen Aktien und Immobilien. Zudem könnten Banken unter Druck geraten, da ihre Margen bei niedrigen Zinsen sinken, was ihre Profitabilität beeinträchtigen könnte.
Fazit: Eine sorgfältige Strategie ist entscheidend
Das erste Halbjahr 2024 hat gezeigt, dass die Zinsentwicklung nach wie vor schwer vorherzusagen ist. Anleger sollten daher eine flexible und aktive Anlagestrategie verfolgen, die sowohl Anleihen als auch alternative Anlageklassen berücksichtigt. In einem Umfeld, in dem Zinssenkungen zwar erwartet, aber nicht garantiert sind, ist eine sorgfältige und dynamische Steuerung der Kapitalbindungsdauer entscheidend – in der Vermögensverwaltung spricht man hier von „Duration Management“. Ebenfalls spielen Währungsrisiken eine Rolle, die man berücksichtigen sollte, wenn man lange in Anleihen investiert bleiben möchte. Die Märkte bleiben volatil, und nur wer sich schnell den verändernden Rahmenbedingungen anpasst, wird langfristig Erfolg haben.
Für Investoren, die auf der Suche nach stabilen Erträgen sind, bieten Anleihen nach wie vor attraktive Chancen. Doch sollte das Risiko-Management nicht außer Acht gelassen werden. Eine ausgewogene Anlagestrategie, die auf Diversifikation setzt und die Chancen von Zinssenkungen nutzt, bleibt der Schlüssel zu einer erfolgreichen Anlagepolitik in den kommenden Monaten.
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